Die Frohe Botschaft nach Knecht Ruprecht

In diesem Jahr zur Feier von Christi Geburt ein kräftiger musikalischer Kontrapunkt zur üblichen süßlich-dümmlichen Zuckerbäckerweihnacht: Das grimmigste der Osnabrücker Angefahrenen Schulkinder, das sich – seltsam genug – Heaven Schulkinder nennt (und dessen bürgerlicher Name nicht zu ermitteln ist), bläst der versammelten Christengemeinde einen düsteren Marsch und lässt uns das Mark in den Knochen gefrieren!

Vordergründig sind die Persiflagen von Weihnachtslieder, die unter dem Titel Heaven sings X-Mas (Vol. 1: 1988, Vol.2: 2011) erschienen sind, natürlich höhnische Satiren auf die allzu brave und kuscheligen Frömmigkeit der herkömmlichen Weihnacht. Aber bei allem grimmigen Spott und aller Lust an der Destruktion des bürgerlichen Christfestes scheint mir doch auch etwas Ernsthaftes in Heavens Version dieses Paul-Gerhardt-Chorals mitzuschwingen. So wie in traditionellen Volksbräuchen die weihnachtlichen Himmelboten, etwa der Nikolaus, oft von finsteren Antipoden wie dem Knecht Ruprecht, Krampussen und anderen Kinderschrecks begleitet werden, so scheint mir der Schulkindersche Höllengesang Manifestation einer freigelegten gegenläufigen Unterströmung zur christlichen Mainstream-Weihnacht zu sein — dunkel, ruppig und struppig zwar, aber nichtsdestotrotz unverkennbar von heiliger Abkunft. Und überhaupt kommt auch die Heaven begleitende enorme Basstuba wie ein gewaltsamer Einbruch des Numinosen in die artig-geordnete Weihnachtsalltäglichkeit daher. Ich spüre hier nicht nur die satirische Verulkung der Chistusverehrung, sondern gewissermaßen eine verdrängte spirituelle dunkle Seite von Weihnachten; außerdem ist das einfach auch starke Musik.

In diesem Sinne: Ho ho ho! und wehe denen, die im zu Ende gehenden Jahr allzu brav gewesen sind!

Kommt und lasst uns Christum ehren

(Ein Christnachtsgesang von Paul Gerhardt)

Kommt und laßt uns Christum ehren,
Herz und Sinnen zu ihm kehren;
singet fröhlich, laßt euch hören,
wertes Volk der Christenheit.

Sünd und Hölle mag sich grämen,
Tod und Teufel mag sich schämen;
wir, die unser Heil annehmen,
werfen allen Kummer hin.

Seine Seel ist uns gewogen,
Lieb und Gunst hat ihn gezogen,
uns, die Satan hat betrogen,
zu besuchen aus der Höh.

Schönstes Kindlein in dem Stalle,
sei uns freundlich, bring uns alle
dahin, da mit süßem Schalle
dich der Engel Heer erhöht.

© Matthias Wehrstedt 2019

Herrin, Mann und Männlein

Herr, Frau und Fräulein sind die klassischen Anreden für erwachsene Personen im deutschsprachigen Raum, auch wenn natürlich Fräulein seit geraumer Zeit und natürlich zu Recht weitgehend verpönt ist – wobei ein Fortbestehen des Begriffs im konservativen Untergrund sicher nicht bezweifelt werden kann. Nun fiel mir aber beim darüber nachdenken zusätzlich auf, dass beim weiblichen Menschen die reine Bezeichnung und die Anrede gleich sind (Frau), der Mann aber, wenn angeredet, zum Herrn wird. Zusätzlich zur Abwertung der unverheirateten Frau mit dem Diminutiv Fräulein gibt es also auch eine Abstufung in der Würde der Anrede eines Mannes als Herr und einer (verheirateten) Frau, der eine solche Aufwertung nicht zuteil wird, als eben nur: Frau.

Wenn man sich eine Gesellschaft vorstellt, in der die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern genau umgekehrt im Vergleich zu der unseren wären, so würden dort alle Frauen, ob verheiratet oder nicht, als Herrin angesprochen, alle verheirateten Männer schlicht als Mann, und die unverheirateten als Männlein. Herrin Krause wäre dort also mit Mann Krause (geb. Fröhlich) verheiratet und ihr ältester Sohn, Männlein Krause hätte gerade sein Medizinstudium begonnen (wobei sich in unserer inversen Welt die meisten Menschen seit einiger Zeit angewöhnt hätten, statt Männlein auch beim ledigen Studenten Mann zu sagen).

Erst durch die Umkehrung merkt man wirklich, wieviel zu Sprache geronnenes gesellschaftliches Kräfte- und Herrschaftsverhältnis in so simplen kleinen Worten wie Herr und Frau (in Fräulein natürlich sowieso) letztlich steckt.

Just saying…

© Matthias Wehrstedt 2019