Symptom Trump

… es ist nicht das Blutvergießen, das Macht hervorruft.

Es ist die Zustimmung dazu.

Mary Renault (1905-1983), Brit. Schriftstellerin

Alle fiebern derzeit der US-Wahl Anfang November entgegen, und sämtliche vernünftigen Menschen hoffen inständig, dass Trump verliert. Und selbstverständlich wäre ein Sieg Bidens am kommenden Dienstag erfreulich und eine große Erleichterung für uns alle, er wäre wie die Beendigung eines bösen Spuks, das Aufwachen aus einem bizarren Alptraum, besonders natürlich für die US-Amerikaner selbst.

Was dabei aber gern übersehen wird, ist, dass auch eine Niederlage Trumps das Grundproblem nicht löst. Ohne die zig Millionen dummen und bösen Menschen, die ihn wählten, wählen und unterstützen, wäre der Orangefarbene nur ein manierierter narzisstischer Trampel, den kaum jemand kennen würden, und der wohl nur wenige Freunde hätte, ein unbedeutender, unintelligenter, unsympathischer Unternehmerheini unter vielen und weitgehend machtlos. Aber die tumbe Masse macht ihn zum mächtigsten Mann der Welt. Diese Masse ist die eigentliche Krankheit, Donald Trump ist nur ein Symptom. Auch wenn das Symptom vorübergehend verschwinden sollte, ändert sich an der zugrundeliegenden Seuche garnichts.

Mir träumte dieser Tage, Trump würde doch, gegen alle Umfragen und Wahrscheinlichkeiten, die Wahl gewinnen. Nach anfänglichem Erschrecken darüber sagte ich mir, mich selbst beruhigend, dass so wenigstens innerhalb der nächsten 4 Jahre kein zweiter amerikanischer Bürgerkrieg ausbricht.

Titelbild: Hugleikur Dagsson

© Matthias Wehrstedt 2020

Meme (8): 115ter Geburtstag von Theodor W. Adorno

Am 11. September 1903 wurde der Philosoph Theodor W. Adorno in Frankfurt am Main als Sohn der Sängerin Maria Calvelli-Adorno und des jüdischen Weingroßhändlers Oscar Alexander Wiesengrund geboren. Er gilt als der wohl bedeutendste Vertreter der Kritischen Theorie, die auch unter dem salopperen Namen Frankfurter Schule berühmt wurde. In seinem Werk wird die Hegelsche Dialektik, der Marxsche Antikapitalismus und Ideen der Psychoanalyse weitergedacht in Richtung einer ebenso radikalen wie fundamentalen Kritik der modernen hochtechnisierten Gesellschaften und der sie beherrschenden positivistisch-szientistischen Ideologie. Adorno gilt außerdem als bedeutender Komponist. Er verstarb im August 1969 während eines Urlaubs in den Schweizer Bergen.

Mem-Bild in voller Größe:  http://www.imagebam.com/image/4d1b6b971281384

 

© Matthias Wehrstedt 2018

„Experiencing is believing“ – Die neuen Rechten im Lichte von Dual-Process-Theorien

It’s so easy to love it’s so easy to hate
it takes guts to be gentle and kind
The Smiths / Morrissey: I know it’s over (1986)

Dass der momentan weltweit stattfindende Rechtsruck weniger mit politischem Diskurs im herkömmlichen Sinne als vielmehr mit dem (Wieder)Erwachen grundlegender und archaischer emotionaler Bedürfnisse in großen Teilen der modernen Gesellschaften zu tun hat, wurde schon von verschiedenen Seiten festgestellt. Eines der elementarsten dieser Bedürfnisse könnte man grob mit der Überschrift „Fühlen statt Denken“ versehen. Etwas präziser müsste es wohl heißen „Schlichtes, müheloses und direktes Fühlen statt anstrengendem, differenziertem Denken“. Die unmittelbare, direkte Empfindung, die sich ohne zergliederndes und sorgsames Abwägen aller Aspekte einer Fragestellung einstellt, soll die neue Leitlinie sein, sowohl bei der Erklärung der Welt als auch bei moralisch-ethischen Fragen. Die Wirklichkeit – so insgeheim das Credo der Fans von Trump und Konsorten – möge doch bitte so einfach beschaffen sein, dass man sagen kann „Ich fühle, dass es wahr ist, also ist es wahr“. Und ihre innere Wirklichkeit, die ist tatsächlich so einfach beschaffen.Weiterlesen »

Karlsruhe: Schafe halten Wölfe für ungefährlich

Ein Kommentar zur Ablehnung des Verbots der NPD durch das Bundesverfassungsgericht

Wenn unsere Gegner sagen: Ja, wir haben Euch doch früher die […] Freiheit der Meinung zugebilligt – , ja, Ihr uns, das ist doch kein Beweis, daß wir das Euch auch tuen sollen! […] Daß Ihr das uns gegeben habt, – das ist ja ein Beweis dafür, wie dumm Ihr seid!
Joseph Goebbels, in einer Rede vom 4. Dezember 1935

Den alten, knarzigen, antifaschistischen Haudegen Fritz Bauer hatte ich hier ja schon vor einigen Wochen zitiert – „Man darf Humanität nicht mit Schwäche und Schlappheit verwechseln“, hatte der einmal in einem Interview gesagt. Genau das hat aber meiner Meinung nach das Bundesverfassungsgericht mit der erneuten Ablehnung des Antrags auf Verbot der NPD getan. In einer Zeit, in der das Gespenst des Rechtspopulismus immer riesiger über den demokratischen Gesellschaften schwebt, hält man es in Karlsruhe nicht für nötig, genau dagegen ein klares Zeichen zu setzen und wenigstens die allerradikalsten der neuen Rechten in ihre Schranken zu verweisen, sondern macht weiter mit einer Toleranzpolitik, die eben genau den Fehler begeht, vor dem Bauer warnt: sie tritt dem Neofaschismus nicht human und entschlossen gegenüber, sondern lässt ihn in treuherziger Naivität im Namen der Meinungsfreiheit einfach weiter agieren, wobei man sich einzureden versucht, er sei nicht so sehr gefährlich und es werde schon nichts Schlimmes passieren.Weiterlesen »

Herr K. und die neuen Rechten

Niemand irrt für sich allein.
Er verbreitet seinen Unsinn auch in seiner Umgebung.
Seneca

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Meine Lieblingsgeschichte von Brechts Herrn K. ist „Vaterlandsliebe, der Haß gegen Vaterländer“ und geht so:

Herr K. hielt es nicht für nötig in einem bestimmten Land zu leben. Er sagte: „Ich kann überall hungern.“ Eines Tages aber ging er durch eine Stadt, die vom Feind des Landes besetzt war, in dem er lebte. Da kam ihm entgegen ein Offizier dieses Feindes und zwang ihn, vom Bürgersteig herunterzugehen. Herr K. ging herunter und nahm an sich wahr, daß er gegen diesen Mann empört war, und zwar nicht nur gegen diesen Mann, sondern besonders gegen das Land, dem der Mann angehörte, also daß er wünschte, es möchte vom Erdboden vertilgt werden. „Wodurch“, fragte Herr K., „bin ich für diese Minute ein Nationalist geworden? Dadurch, daß ich einem Nationalisten begegnete. Aber darum muss man die Dummheit ja ausrotten, weil sie dumm macht, die ihr begegnen.“

Im Deutschland der Zehnerjahre des 21ten Jahrhunderts trifft man zwar keine Offiziere aus Feindesland mehr auf der Straße. Aber ein in vielen Ländern auf dem Vormarsch befindlicher Rechtspopulismus zieht auch bei uns mit seinem aggressiven Geplärr nicht nur viele unkluge Menschen in seinen Bann, die ihrem Drang zum Mitplärren nachgeben; er droht auch seine oft deutlich intelligenteren Gegner ebenfalls dumm werden zu lassen. Weiterlesen »