Will eigentlich niemand die Demokratie retten?

Die Bürger werden eines Tages nicht nur die Worte und die Taten der Politiker zu bereuen haben, sondern auch das furchtbare Schweigen der Bürgermehrheit.

Martin Luther King

 

Es ist schon verblüffend, was derzeit in Deutschland politisch passiert. Mit aller Unverschämtheit und Borniertheit, die sich aufbringen ließ, pressten die Rechtspopulisten der bayrischen CSU der Kanzlerin weitreichende Zugeständnisse in der Flüchtlingspolitik ab und brachten dabei ihre eigene Berliner Regierung und nebenbei Europa in eine schwere Krise. Dass es ihnen dabei weniger um die Umsetzung ihrer konkreten Pläne, was Lager für Geflüchtete oder das Verfahren an den Grenzen ging, als darum, die Christenunion und Deutschland insgesamt, koste es was es wolle, weiter nach rechts zu drängen, selbst auf Gefahr der Selbstdemontage, war dieser Krawallpolitik nicht schwer anzumerken. Das letztliche Ziel der CSU-Chaoten ist klar: die Installation einer neuen autokratischen Politik wie in Ungarn oder Polen; die Vorbilder heißen Orban und Kaczyński. Man macht daraus auch gar keinen Hehl mehr, auch das neue bayrische Polizeigesetz zeigt ja, wo es künftig langgehen soll. Es fehlt schon nicht mehr viel und die Seehofers und Dobrindts sprechen die volle Wahrheit unumwunden aus: dass ihnen nämlich das ganze Grundgesetzes- und Menschenrechtsgedöns sowieso schon immer mächtig auf den Geist gegangen ist und endlich abgeschafft gehört.Weiterlesen »

Die Deutschtürken und das Verfassungsreferendum

Ich war ja zunächst auch schockiert und verärgert: 63 % der deutschen Türken stimmten beim Verfassungsreferendum für die Weiterführung von Erdogans Kurs Richtung Diktatur! In der Tat gruselig und absolut unverständlich. Und entsprechend tönt es jetzt auch vielerorts aus rechten wie auch aus religionskritischen Kreisen (bspw. Hamed Abdel-Samad auf Facebook), dass die Deutschtürken* nicht integrierbar seien, in die Türkei ausgewiesen gehörten, für den Weg zurück in die Steinzeit gestimmt hätten etc. etc. Wenn man sich die genauen Zahlen zur türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland und zur Anzahl der Wahlberechtigten ansieht, relativiert sich das Bild aber doch sehr.Weiterlesen »

„Experiencing is believing“ – Die neuen Rechten im Lichte von Dual-Process-Theorien

It’s so easy to love it’s so easy to hate
it takes guts to be gentle and kind
The Smiths / Morrissey: I know it’s over (1986)

Dass der momentan weltweit stattfindende Rechtsruck weniger mit politischem Diskurs im herkömmlichen Sinne als vielmehr mit dem (Wieder)Erwachen grundlegender und archaischer emotionaler Bedürfnisse in großen Teilen der modernen Gesellschaften zu tun hat, wurde schon von verschiedenen Seiten festgestellt. Eines der elementarsten dieser Bedürfnisse könnte man grob mit der Überschrift „Fühlen statt Denken“ versehen. Etwas präziser müsste es wohl heißen „Schlichtes, müheloses und direktes Fühlen statt anstrengendem, differenziertem Denken“. Die unmittelbare, direkte Empfindung, die sich ohne zergliederndes und sorgsames Abwägen aller Aspekte einer Fragestellung einstellt, soll die neue Leitlinie sein, sowohl bei der Erklärung der Welt als auch bei moralisch-ethischen Fragen. Die Wirklichkeit – so insgeheim das Credo der Fans von Trump und Konsorten – möge doch bitte so einfach beschaffen sein, dass man sagen kann „Ich fühle, dass es wahr ist, also ist es wahr“. Und ihre innere Wirklichkeit, die ist tatsächlich so einfach beschaffen.Weiterlesen »

Karlsruhe: Schafe halten Wölfe für ungefährlich

Ein Kommentar zur Ablehnung des Verbots der NPD durch das Bundesverfassungsgericht

Wenn unsere Gegner sagen: Ja, wir haben Euch doch früher die […] Freiheit der Meinung zugebilligt – , ja, Ihr uns, das ist doch kein Beweis, daß wir das Euch auch tuen sollen! […] Daß Ihr das uns gegeben habt, – das ist ja ein Beweis dafür, wie dumm Ihr seid!
Joseph Goebbels, in einer Rede vom 4. Dezember 1935

Den alten, knarzigen, antifaschistischen Haudegen Fritz Bauer hatte ich hier ja schon vor einigen Wochen zitiert – „Man darf Humanität nicht mit Schwäche und Schlappheit verwechseln“, hatte der einmal in einem Interview gesagt. Genau das hat aber meiner Meinung nach das Bundesverfassungsgericht mit der erneuten Ablehnung des Antrags auf Verbot der NPD getan. In einer Zeit, in der das Gespenst des Rechtspopulismus immer riesiger über den demokratischen Gesellschaften schwebt, hält man es in Karlsruhe nicht für nötig, genau dagegen ein klares Zeichen zu setzen und wenigstens die allerradikalsten der neuen Rechten in ihre Schranken zu verweisen, sondern macht weiter mit einer Toleranzpolitik, die eben genau den Fehler begeht, vor dem Bauer warnt: sie tritt dem Neofaschismus nicht human und entschlossen gegenüber, sondern lässt ihn in treuherziger Naivität im Namen der Meinungsfreiheit einfach weiter agieren, wobei man sich einzureden versucht, er sei nicht so sehr gefährlich und es werde schon nichts Schlimmes passieren.Weiterlesen »

Herr K. und die neuen Rechten

Niemand irrt für sich allein.
Er verbreitet seinen Unsinn auch in seiner Umgebung.
Seneca

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Meine Lieblingsgeschichte von Brechts Herrn K. ist „Vaterlandsliebe, der Haß gegen Vaterländer“ und geht so:

Herr K. hielt es nicht für nötig in einem bestimmten Land zu leben. Er sagte: „Ich kann überall hungern.“ Eines Tages aber ging er durch eine Stadt, die vom Feind des Landes besetzt war, in dem er lebte. Da kam ihm entgegen ein Offizier dieses Feindes und zwang ihn, vom Bürgersteig herunterzugehen. Herr K. ging herunter und nahm an sich wahr, daß er gegen diesen Mann empört war, und zwar nicht nur gegen diesen Mann, sondern besonders gegen das Land, dem der Mann angehörte, also daß er wünschte, es möchte vom Erdboden vertilgt werden. „Wodurch“, fragte Herr K., „bin ich für diese Minute ein Nationalist geworden? Dadurch, daß ich einem Nationalisten begegnete. Aber darum muss man die Dummheit ja ausrotten, weil sie dumm macht, die ihr begegnen.“

Im Deutschland der Zehnerjahre des 21ten Jahrhunderts trifft man zwar keine Offiziere aus Feindesland mehr auf der Straße. Aber ein in vielen Ländern auf dem Vormarsch befindlicher Rechtspopulismus zieht auch bei uns mit seinem aggressiven Geplärr nicht nur viele unkluge Menschen in seinen Bann, die ihrem Drang zum Mitplärren nachgeben; er droht auch seine oft deutlich intelligenteren Gegner ebenfalls dumm werden zu lassen. Weiterlesen »