Der unkontrollierte Körper ~ Der Mythos vom steuernden Gehirn ~ (Teil I)

Die Natur hat keinen Anfang und kein Ende. Alles in ihr steht in Wechselwirkung, alles ist relativ, alles zugleich Wirkung und Ursache, alles in ihr ist allseitig und gegenseitig; sie läuft in keine monarchische Spitze aus; sie ist eine Republik.
Ludwig Feuerbach

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1. Das Gehirn als Kontroll- und Steuerungsorgan

Die moderne Neurowissenschaften und ihre Teildiziplinen Neurologie, Neurobiologie, Neuropsychologie, Neurophilosophie usw. sind seit einigen Jahren auch für ein breiteres Publikum immer interessanter geworden, versprechen sie doch ganz neue Erkenntnisse bezüglich der Sicht des Menschen auf sich selbst und bezüglich der Vorgänge, die sich in komplexen biologischen Systeme, sprich: höheren Lebewesen abspielen. Neuerdings gibt es außerdem so seltsame Fachgebiete wie Neurotheologie oder Neuro-Marketing, was die große Wichtigkeit unterstreicht, die den neuen Entdeckungen von einem großen Teil der scientific community und der interessierten Öffentlichkeit beigemessen wird. Ob dabei immer der Mehrwert an Erkenntnis und neuem und anderem Verständnis der Wirklichkeit erzielt wird, den die Vertreter der Zunft behaupten, scheint nicht selten eher zweifelhaft. Dies soll hier aber nicht weiter erörtert werden.

Im Mittelpunkt fast aller neurowissenschaftlichen Untersuchungen und Überlegungen steht das Gehirn. Diese bei höheren Tieren extrem komplexe, hoch vernetzte Ansammlung von Nervenzellen wird als Dreh- und Angelpunkt des gesamten Organismus angesehen. Was die Beziehungen zwischen Gehirn und anderen Teilen des Körpers angeht, so ist die Alltagsauffassung die, dass das Hirn eine Steuerungszentrale ist, die den anderen Teilen des Körpers, insbesondere den Muskeln, per Nervensignalen Befehle sendet, und diese Körperteile dann „im Sinne des Gehirns“ funktionieren. Das Gehirn wird gedacht als beherrschendes Organ des Körpers, als die „monarchische Spitze“ aus dem Feuerbachschen Eingangszitat, die über den restlichen Organen thront und sie steuert und befehligt. Vermutlich werden die allermeisten LeserInnen diese Ansicht intuitiv teilen.Weiterlesen »

Laurie R. Santos über Beeinträchtigungen durch „Perspektivansteckung“ ~~~ Ein Nachtrag zu „Herr K. und die neuen Rechten“

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Hier noch ein Postscriptum zum Artikel „Herr K. und die neuen Rechten“. Der aktuellste Text der US-amerikanischen Wissenschaftsseite www.edge.org handelt wie auch mein Text von dem sozialen Ansteckungseffekt, dem Menschen unterliegen. Die Yale-Psychologie-Professorin Laurie R. Santos berichtet in ihrem Beitrag „Glitches“ (= Pannen, Störungen) wie psychologische Forscher in den letzten Jahren klarer herausgearbeitet haben, dass Menschen auch im kognitiven und moralischen Bereich unbewusst von schlechten Problemlösungen – mit anderen Worten: von der Dummheit – anderer Menschen negativ beeinflusst werden (in meinem Beitrag ging es ja eher um einen emotionalen Ansteckungseffekt). Santos arbeitet dabei interessanterweise mit Tieren (Rhesusaffen und Hunden), um über die Tier-Mensch-Unterschiede die Funktionsweise der menschlichen Kognition besser zu verstehen. Der recht lange Artikel, der aber in einigermaßen leichtem Englisch geschrieben ist, ist sehr lesenswert; wer es lieber audiovisuell mag: es gibt den Text auch als Video  — beides unter: https://www.edge.org/conversation/laurie_r_santos-glitches . Für alle, die nicht soviel Zeit haben, hier eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Punkte:Weiterlesen »