Ein Kommentar zur Ablehnung des Verbots der NPD durch das Bundesverfassungsgericht
Wenn unsere Gegner sagen: Ja, wir haben Euch doch früher die […] Freiheit der Meinung zugebilligt – , ja, Ihr uns, das ist doch kein Beweis, daß wir das Euch auch tuen sollen! […] Daß Ihr das uns gegeben habt, – das ist ja ein Beweis dafür, wie dumm Ihr seid!
Joseph Goebbels, in einer Rede vom 4. Dezember 1935
Den alten, knarzigen, antifaschistischen Haudegen Fritz Bauer hatte ich hier ja schon vor einigen Wochen zitiert – „Man darf Humanität nicht mit Schwäche und Schlappheit verwechseln“, hatte der einmal in einem Interview gesagt. Genau das hat aber meiner Meinung nach das Bundesverfassungsgericht mit der erneuten Ablehnung des Antrags auf Verbot der NPD getan. In einer Zeit, in der das Gespenst des Rechtspopulismus immer riesiger über den demokratischen Gesellschaften schwebt, hält man es in Karlsruhe nicht für nötig, genau dagegen ein klares Zeichen zu setzen und wenigstens die allerradikalsten der neuen Rechten in ihre Schranken zu verweisen, sondern macht weiter mit einer Toleranzpolitik, die eben genau den Fehler begeht, vor dem Bauer warnt: sie tritt dem Neofaschismus nicht human und entschlossen gegenüber, sondern lässt ihn in treuherziger Naivität im Namen der Meinungsfreiheit einfach weiter agieren, wobei man sich einzureden versucht, er sei nicht so sehr gefährlich und es werde schon nichts Schlimmes passieren.
Nicht stark genug sei die NPD, um die deutsche Demokratie zu gefährden, so meinen die Karlsruher RichterInnen. Wann wäre sie denn stark genug, um verboten zu werden? Erst dann, wenn das Verfassungsgericht längst entmachtet oder abgeschafft ist? So muss man angesichts der unerschütterlichen Duldsamkeit des Gerichts leider befürchten. Natürlich ist richtig, dass das Verbieten einer Organisation das Problem der neuen rechten Volksbewegungen nicht wirklich löst, aber ein wichtiger symbolischer Akt wäre es allemal gewesen. Nun feiern und feixen die Nazis in ihrem gefühlten Triumph über die lahme Ente Demokratie.
Das Problem ist, dass die Rechten eben jenen Mumm haben, der den Verteidigern von Pluralität und Rechtsstaat allzu oft fehlt. Das genau ist ja eine der wichtigsten Ingredienzen des faschistischen Gifts, diese alles niedermachende und wegfegende Rücksichts- und Hemmungslosigkeit, die konsequent Schluss macht mit all der anstrengenden Fairness und Kompromissbereitschaft, von der die Demokratie lebt und die durch Simplifizierung und Bildzeitungs-Gefühle ersetzt werden soll. Die Humanität ist hier in Gefahr grundsätzlich in Nachteil zu geraten: sie will (und muss) menschenfreundlich sein und das eben auch gegenüber ihren Gegnern. Und diese Toleranz kann leicht zu einer kraftlosen Duldung des Unrechts der Intoleranten und Antisozialen entarten; der tumben Bosheit entschlossen gegenüber zu treten ist ein schwieriges Geschäft. Umso wichtiger wäre es daher, dass zumindest die demokratischen Institutionen all jenen resolut in den Arm zu greifen, die aktiv und gesetzesbrecherisch an ihrer Abschaffung arbeiten.
In Berlin wird dagegen an immer neuen Verschärfungen von Gesetzen gearbeitet. Aber nicht etwa an solchen gegen Rechtpopulismus und Faschismus, sondern gegen Flüchtlinge und Islamisten, obwohl diese beiden Gruppen im Gegensatz zu den Erstgenannten den Fortbestand von Demokratie und Rechtsstaat in keiner Weise gefährden können. Das Karlsruher Urteil passt zu dieser auf anderthalb Augen blinden Politik.
Zum Abschluss soll noch einmal der schlaue und böse Herr Goebbels das Wort haben:
Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. Wir zerbrechen uns darüber nicht den Kopf. Uns ist jedes Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren. […] Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir.
Joseph Goebbels, „Was wollen wir im Reichstag?“, in: „Der Angriff“ vom 30.4.1928
Die Schafe in Karlsruhe sehen allerdings keinen Grund zur Beunruhigung.
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© Matthias Wehrstedt 2017
Greatt reading this
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