Man kann und muss im Namen
der Demokratie gegen die Einschaltquote kämpfen.
Pierre Bourdieu
Ein paar Anmerkungen zu jenen Anruf-Gewinnspielen im Privatfernsehen, bei denen für die zu lösenden Fragen zwei Antwortalternativen vorgegeben werden, von denen eine sich von selbst versteht, während die andere völlig abwegig ist, und die deshalb selbst auf den schlicht gestrickten Zuschauer vollkommen debil und würdelos wirken.
Drei Beispiele aus der RTL-Boulevardsendung „Punkt 12“ und die LeserInnen wissen sicher sofort, was ich meine:
Was ist die Abkürzung für Winterschlussverkauf? a. WSV, b. 1. FC Köln (RTL, Punkt 12, Jan. 2011)
Wie heißt eine berühmte Comic-Figur? a. Batman, b. Bettdecke (RTL, Punkt 12, 08.01.2018)
Zu wem gehen wir, wenn wir krank sind? a. Hausarzt, b. Hausmeister (RTL, Punkt 12, 11.01.2018)
Der Anruf kostet den Zuschauer 50 Cent, von denen RTL vermutlich den Großteil als Einnahme einstreicht. Zu gewinnen gibt es 1000 Euro. (Ein großer Jackpot, mit dem zusätzlich gelockt wird, ist nur durch die Beantwortung einer viel schwierigeren Frage bzw. Durchlaufen eines Glücksspiels mit sehr geringen Erfolgsaussichten zu ergattern.) Welch eine erbärmliche Veranstaltung! Man schämt und ekelt sich angesichts solcher Niedrigkeit.
Diejenigen, die für das Quiz verantwortlich sind, schämen sich nicht. Da haben irgendwann einige gewitzte Spin-Doktoren herausgefunden, dass solche Pseudofragen, da sie wirklich jeder beantworten kann, etwas mehr Anrufe erzeugen als ernsthaftere Quizvarianten und mit ihnen ein Sender ein paar hunderttausend Euro mehr pro Jahr verdient. Und das reicht aus, damit alle mitmachen: Programmdirektoren, Redakteure, Regisseure, Moderatoren, Kabelträger. Jedem einzelnen dieser Akteure ist das Ganze insgeheim peinlich. Man merkt das an den ModeratorInnen, die einem mit angestrengter Scherzhaftigkeit die Fragen als unbedeutenden kleinen Gag unterjubeln wollen. Nirgends findet sich aber einer, der oder die aufsteht und sich weigert, bei der Aufführung eines solchen Schmierentheaters behilflich zu sein. Die pfennigfuchserische Habgier der Wenigen siegt über sämtliche entgegenstehenden menschlichen Regungen aller anderen. So wie eben auch im sonstigen Leben meist die Schamlosen den Taktvollen und Empfindsamen sagen, wo es lang geht. Durch den paradoxen Vorgang, dass das, was alle scheußlich und peinlich finden, schließlich eben doch genau das ist, was gemacht wird, ahnt man etwas von der Totalität der Unfreiheit und vom Zwang, den die Herrschaft des Geldes auf jeden einzelnen Beteiligten ausübt.
Und eine durch das pausenlose Verblödungsbombardement von Werbung und Boulevard betäubte und ermattete Öffentlichkeit nimmt solches Treiben eines entwürdigenden Superkapitalismus nur noch resigniert und schweigend zur Kenntnis. Man ist habituiert. Es merkt kaum noch jemand, wie irrsinnig solch ein Pseudo-Quiz ist, wie hier alle gängigen menschlichen Regeln von Vernunft und Anstand durch eine geistlose Clique von Reklameganoven außer Kraft gesetzt werden. Der Mensch wird hier zum „Schlumpf“ gemacht, um eine Formulierung von Peter Sloterdijk zu gebrauchen; die Anrufer fungieren hier tatsächlich und ganz unverhohlen nur noch als die hirnlosen Rädchen einer großen Geldmaschinerie, die alle Intelligenz unterschiedslos in den Staub walzt.
Der Spätkapitalismus und das ihn wohl am vollkommendsten verkörpernde Privatfernsehen haben generell die Tendenz, sämtliche Gedanken auf das niedrigste Niveau zu planieren. Ebenso wie der Gebrauchswert von Gegenständen eingeschränkt wird, weil den Hersteller nur ihr Tauschwert interessiert, wie schon der alte Marx wusste, so wird auch die Sinnhaftigkeit und Bedeutung vieler Handlungen in der kapitalistischen Gesellschaft beschnitten oder entstellt, weil sie nur einem monetären Zweck dienen und ihr vordergründiger Inhalt nur der Verschleierung dieser Tatsache dient. Bei den hier zur Diskussion stehenden Gewinnspielen ist selbst diese Tarnung nicht mehr existent, denn jeglicher auch noch so winzige geistige Gehalt ist aus diesen Veranstaltungen gelöscht worden. Jeder Sinn ist liquidiert und niemand stört sich daran, alles geht, alles ist egal, die Welt geht eh unter.
Für die Demokratie – und nicht nur, wenn man den Begriff im weiteren Sinne versteht – muss man in der Tat gegen die Einschaltquote (und damit gegen das Privat-TV in seiner heutigen Form) kämpfen. Denn verstoßen denn die debilen Gewinnspiele à la „RTL Punkt 12“, die gewissermaßen für das Privatfernsehen in seiner reinsten Form stehen, nicht eigentlich gegen den berühmten ersten Satz des Artikel 1 unseres Grundgesetzes?
© Matthias Wehrstedt 2018