Die Adventszeit ist einmal mehr gekommen. Mit ihr wird in ganz großem Stil auf das Weihnachtsfest hingeleitet, an dem die Geburt des jüdischen Endzeitpredigers Jeschuah von Nazaret vor gut 2000 Jahren gefeiert wird, von dem die Christen glauben, dass er trotz Hinrichtung durch die römischen Besatzer Judäas in einem sogenannten „Himmel“ weiterlebt und irgendwann zurückkommt, um uns alle vor Gericht zu stellen und jene, die nicht an ihn geglaubt haben, den ewigen Qualen einer „Hölle“ zu überantworten. Jedenfalls glauben das „richtige“ Christen, denn so steht es in ihrem heiligen Buch.
Nichtsdestotrotz verfallen die meisten Menschen bei uns in dieser Zeit in eine anheimelnde Gestimmtheit und werden irgendwie „besinnlich“. Es werden zahllose Kerzen angezündet, Weihnachtsmärkte verunzieren die Innenstädte und Elektrosterne die Fenster, alle kuscheln sich aneinander, überall riecht es nach Nelken und Zimt, Glühwein benebelt den Verstand und an Heiligabend wird sogar in vielen nicht christlichen Familien die Weihnachtsgeschichte des Lukas verlesen – weil’s halt irgendwie so schön heimelig-behaglich ist. Ich mag diesen lauwarmen Weihnachtsschmus nicht und möchte mit einer Brise kritisch-kaltem Wind den Gefühlsmief des Advents ein wenig auslüften. Zu diesem Zweck sollen die biblischen Berichte rund um die Geburt des Menschheitserlösers einer skeptischen Prüfung unterzogen werden. An jedem Adventssonntag erscheint eine Folge.
Grundsätzliches
Als ältestes und ursprünglichstes der vier Evangelien gilt unter den meisten historisch-kritischen Wissenschaftlern das Evangelium nach Markus, dessen Schilderungen daher vermutlich dem, was sich historisch um den galiläischen Rabbi Jeschuah von Nazareth ereignet hat, noch am nächsten kommt. In ihm gibt es überhaupt keine Geburts- und Kindheitsgeschichte Jesu, ebensowenig wie im wahrscheinlich als letztem verfassten Evangelium des Johannes (das sich sowieso generell deutlich von den 3 anderen sogenannten synoptischen Berichten des Markus, Matthäus und Lukas unterscheidet).
Die beiden anderen Evangelisten Matthäus und Lukas (falls sie wirklich so hießen) haben ihren Schilderungen des Lebens und Sterbens Jesu allerdings Berichte rund um die Geburt des Gottessohnes vorangestellt. Dabei fällt auf, dass diese sich stark unterscheiden:
Matthäus erzählt es nach Auflistung der angeblichen Ahnen Jesu (s. unten) in Kurzform so:
Maria und ihr Verlobter Joseph leben in Bethlehem. Maria ist plötzlich schwanger und Joseph überlegt, sie ob dieser Schande zu verlassen, es erscheint ihm aber im Traum ein Engel, der erklärt, das sei schon in Ordnung, da der Heilige Geist der Vater des ungeborenen Kindes sei. Nach Jesu Geburt erscheinen weise Magier aus dem Osten in Jerusalem, die behaupten, ein von ihnen entdeckter Stern habe die Geburt eines neuen Königs der Juden angekündigt. Das macht den amtierenden König, Herodes den Großen (der von 40 bis 4 v.Chr römischer Klientelkönig war), natürlich etwas unruhig; seine Schriftgelehrten sagen ihm, die Geburt dieses messianischen Herrschers könne nur in Bethlehem stattfinden, denn so stehe es in den alten Texten (die wir heute das Alte Testament nennen). Die Sterndeuter aus dem Morgenland machen sich also dorthin auf den Weg und der Stern führt sie genau zum Haus von Joseph und Maria; dort beten sie den Säugling an, lassen auch Gold, Weihrauch und Myrrhe als Geschenke da und ziehen dann – ebenfalls auf einen Traumbefehl Gottes hin – zurück in ihre Heimat. Herodes plant unterdessen die Ermordung des Babys, deshalb erscheint Joseph erneut im Traum der Engel und ordnet die Flucht nach Ägypten an. Herodes ist extrem verärgert, dass die Sterndeuter ihm nicht wie abgemacht den Aufenthaltsort des messianischen Königskinds verraten haben und lässt nun zur Sicherheit alle männlichen Kinder in Bethlehem und Umgebung im Alter bis 2 Jahren ermorden. Nach dem Tod des Herodes, von dem Joseph wieder vom Traumengel erfährt, kehrt die junge Kleinfamilie nach Judäa zurück, aber der Engel befiehlt ihnen, nach Galiläa zu ziehen und sich dort – in Nazaret – niederzulassen.
Lukas’ Bericht geht ganz anders:
Bei ihm wird die Geburtsgeschichte Jesu verwoben mit der Johannes’ des Täufers, der nach dieser Darstellung 6 Monate älter ist als der Gottessohn. Hier leben Maria und Joseph von Anfang an im galiläischen Nazaret. Außerdem erscheint der Erzengel Gabriel hier nicht Joseph und auch nicht im Schlaf, sondern Maria im Wachzustand und macht auch gleich klar, dass das Kind, mit dem sie von nun an trotz Jungfrauenschaft schwanger ist, der Sohn Gottes sein wird. Danach loben Maria und die Eltern Johannes’ des Täufers noch tüchtig Gott, dann wird Johannes geboren. Daraufhin folgt in Lukas 2 das, was man im eigentlichen Sinne die „Weihnachtsgeschichte“ nennt („Es begab sich aber zu der Zeit…“): Wegen einer (angeblichen) Volkszählung der Römer in den palästinischen Provinzen hätten sich Joseph und die hochschwangere Maria nach Bethlehem begeben müssen, weil Joseph (natürlich) aus dem „Geschlecht Davids“ stamme und der legendäre König David ca. 1000 Jahre zuvor eben in Bethlehem geboren worden war. Maria kommt dort nieder, der kleine Jesus wird in eine Krippe gelegt, währenddessen ganz in der Nähe ein Engel mitsamt allen „himmlischen Heerscharen“ ein paar Hirten erscheint und ihnen die Geburt des Heilands verkündet. Sie eilen nach Bethlehem, finden das Kind und erzählen danach herum, was sie erlebt haben.
Schon die große Unterschiedlichkeit der beiden Geburtsgeschichten müsste eigentlich auch den gläubigsten Christen stutzig machen. Die einfachste Erklärung dafür: Beide Geschichten sind nachträglich ausgedachte literarische Ausschmückungen der Evangelisten. Im Einzelnen soll das in den Folgen 2 – 4 des großen Weihnachtsschwindels besprochen und belegt werden.
Zunächst allerdings etwas zu den angeblichen Vorfahren Jesu, die sowohl Matthäus als auch Lukas umfassend auflisten:
Jesu Stammbäume
(Matth. 1, 1 – 17) (Lk. 3, 23 – 38) Sowohl Matthäus als auch Lukas führen einen ausführlichen Stammbaum Jesu auf – natürlich, wie es sich im tiefsten Patriarchat gehört, nur mit den männlichen Vorfahren (allerdings erwähnt Matthäus nebenbei auch fünfmal Mütter). Matthäus will Jesus in der Väterlinie bis auf den Stammvater Abraham zurückführen, Lukas sogar bis auf Adam, den angeblich ersten Menschen. Matthäus erwähnt von Abraham bis Jesus 41 Glieder, Lukas von Adam bis Jesus deren 77 (in alternativen Versionen 78).
Jesu Stammbau nach Lukas (3, 23 – 38, Luther 2017)
Jesu Stammbau nach Matthäus (1, 1 – 17, Luther 2017)
Beiden Stammlinien ist gemeinsam, dass sie die direkte Abstammung Jesu von a) Abraham und b) König David aufzeigen wollen. Sonst haben Sie nur wenige Ähnlichkeiten. Betrachtet man beispielsweise einmal nur die beiden Väterlinien von König David bis Jesus, so fällt schnell auf, dass Matthäus hier 28 Glieder angibt, Lukas aber seltsamerweise 43. Auch sonst stimmen die Evangelisten nicht überein. Schon bei der vergleichweise einfachen Frage, wie denn Jesu Großvater väterlicherseits, also Josephs Vater, hieß, sind sie sich nicht einig: Matthäus nennt Jakob, Lukas dagegen einen Eli!
Matthäus teilt seine Väterliste in 3 Abschnitte: 1) von Abraham bis zu König David, 2) von David bis zum babylonischen Exil der Juden und 3) vom babylonischen Exil bis zu Jesus. Jeder Abschnitt habe 14 Glieder (2 x 7, 7 gilt als heilige Zahl), behauptet der Autor, hat sich aber verzählt. Der dritte Abschnitt vom Exil bis zu Joseph hat leider nur 13 Glieder.
Grundsätzlich seltsam an beiden Stammbäumen ist im Übrigen, dass Joseph, dessen edle Abkunft hier aufwändig erwiesen werden soll, ja laut der restlichen Schilderungen der Evangelisten eben gerade nicht der Vater des frisch geborenen Weltenretters ist. Denn diesen Part hatte ja bekanntlich der Heilige Geist übernommen.
Schon bei den Stammlinien Jesu wird überdeutlich, dass die Intention der Autoren bezüglich Herkunft, Geburt und Kindheit Jesu keinesfalls darin besteht, historische Tatsachen darzustellen, sondern mit Hilfe literarischer Ausschmückungen die Auserwähltheit des Jesus von Nazareth als Sohn Gottes glaubhaft zu machen und seine Berechtigung auf den Titel des Messias der Juden in Übereinstimmung mit den alten Texten (die wir heute als Altes Testament bezeichnen) zu erweisen. Woher hätten Lukas und Matthäus (falls die Evangelisten wirklich so hießen) auch die väterliche Abstammunglinie dieses Bauhandwerkers aus Galiläa, der zum Erweckungsprediger wurde, kennen sollen?
Aus Abstammung und Familie hat sich der im Übrigen sowieso wenig gemacht. Denn wie sagt er doch laut Lk 14, 26:
„Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern, dazu auch sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein.“
In diesem Sinne wünsche ich allen LeserInnen einen kuscheligen 1. Advent.
© Matthias Wehrstedt 2018
TITELBILD: Lucas van Leyden: Wurzel Jesse, um 1530 (Diözesanmuseum Freising)