Es stimmt eher mit dem Geist der Naturwissenschaften überein, eine dualistische Auffassung zu akzeptieren, die unsere Unfähigkeit anerkennt, zu erklären, warum es Bewusstsein gibt, als unsere explanatorischen Sehnsüchte mit einem mysteriösen [materialistischen] Monismus zu besänftigen.
William S. Robinson
In diesem Artikel möchte ich einen Gedanken etwas näher ausführen, den ich in meinem letzten Text als selbstverständlich vorausgesetzt hatte – nämlich, dass immaterielle geistige Ereignisse (also Erlebnisse, Empfindungen etc.) und physikalische Vorgänge (also auch Hirnaktivitäten) in keine wie auch immer geartete kausale Interaktion miteinander treten können. Dass im Kopf wohl keine immaterielle Seele oder ein Homunkulus sitzt, der die Nervenzellen dirigiert, wie noch ein Descartes glaubte, scheint uns modernen Menschen – zumindest den gebildeteren – relativ selbstverständlich. Anders sieht es aber aus mit der umgekehrten Vorstellung, nach der das elektrochemische Geschehen im Nervensystem die Ursache für die bewussten Gehalte unserer Gedanken und Gefühle sei. Dies ist sogar momentan die allgemeine Standard-Vorstellung von Neurowissenschaftlern, Philosophen und Psychologen.
Und sie können ja auch durchaus handfeste Gründe für diese Annahme vorbringen. Schon Oliver Sacks beschreibt in seinem Neuropsychologie-Bestseller Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte von 1985 einen mit Epilepsiepatienten arbeitenden Kollegen, der mithilfe von Magnetstimulation eines eng umschriebenen Hirnareals eines seiner Probanden immer wieder die gleiche seltsame Erfahrung bei diesem auslösen konnte: nämlich das absolut echt wirkende Erlebnis, dass er seinen Körper verlässt, unter die Decke schwebt und sich selbst und den Arzt von oben bei ihrem Tun beobachtet. Wie gesagt: dieses außerkörperliche Erlebnis (Out-of-body-experience) ließ sich beliebig oft und ganz zuverlässig mit der immer gleichen Einstellung und Position des Magnetstimulators erzeugen. Es gibt natürlich viele weitere solcher empirischer Indizien, die zeigen, dass Bewusstseinsinhalte auf das Engste mit bestimmten Hirnvorgängen verbunden sind. Dies kann also keine strittige Frage sein.
Und doch steht der simplen Erklärung dieser Beobachtungen mittels der Folgerung „Hirnaktivitäten sind die Ursache von geistigen Ereignissen“ das entgegen, was eingangs gesagt wurde: Eine kausale Beziehung zwischen materiellen und immateriellen Entitäten ist einfach aus Gründen der grundlegendsten Logik nicht möglich. Selbst wenn sich beispielsweise herausstellen würde, dass Bewusstsein eine besondere Form von physikalischer Energie darstellt, bliebe immer noch die Frage, wie es möglich ist, dass eine Energie so seltsame Eigenschaften aufweisen kann wie Empfindungen von Bläue, Übelkeit oder Müdigkeit. Solche Dinge gibt es in der Physik einfach nicht. Es sind einfach keine Brückenprinzipien – wie dies in der philosophischen Diskussion häufig genannt wird – denkbar, die die physikalische Welt mit der des Geistes verbinden könnten.
Wir stehen also vor einem ganz fundamentalen Widerspruch: einerseits deuten unsere neurobiologischen Beobachtungen ganz eindeutig darauf hin, dass Hirnvorgänge geistige Ereignisse kausal hervorbringen, andererseits ist genau das aus prinzipiellen Gründen schlicht unmöglich. Physische und mentale Ereignisse müssen auf eine gänzlich andere, nicht-kausale Weise aufeinander bezogen sein, auf eine Art, die für die heutige Wissenschaft noch grundsätzlich unvorstellbar ist – und die möglicherweise von uns Menschen niemals verstanden werden wird.
Das Problem ist, dass die Mehrheit der NaturwissenschaftlerInnen und leider auch viele PhilosophenInnen die große Tragweite dieser Erkenntnis der Unauflösbarkeit des Bewusstseinsrätsels nicht wahrhaben wollen oder können. Dem fundamentalen Dilemma direkt ins Gesicht zu sehen scheint einfach zu schmerzhaft zu sein. Psychologisch gesehen haben wir es hier mit einem Fall von kognitiver Dissonanz zu tun. Der Wunsch, eine widerspruchsfreie Welterklärung zur Hand zu haben auf der einen Seite, und die tatsächliche Lage der Dinge auf der anderen führen zu einem unangenehmen Zustand, und man versucht, diesen mit Hilfe von kognitiven Umstrukturierungen abzumildern. So wird von den Neurowissenschaften ja z.B. geradezu gebetsmühlenartig betont, das nun, im Zeitalter des Gehirns mit seinen vielfältigen hochtechnischen Untersuchungsmethoden und ständig neuen Erkenntnissen im Detail das Ende der alten philosophischen Debatten um den Geist quasi direkt vor der Tür stehe; wenn man erst das Gehirn vollständig verstanden habe, wisse man schließlich am Ende auch, was es denn mit dem Bewusstsein auf sich habe. Eine Behauptung, die durch tausendfache Wiederholung um keinen Deut wahrer wird.
Die zeitgenössische Tendenz, mentale Gehalte, die mit Hirnaktivitäten einhergehen, zu deren besonderen Eigenschaften zu erklären (sog. Eigenschaftsdualismus), ist ein anderer Versuch, das fundamentale Problem und seine Tragweite herunterzuspielen. Die grundsätzliche Unmöglichkeit zu verstehen, was Geist und Bewusstsein sind, bleibt auch bei diesem Ansatz unverändert bestehen und die Problematik wird nur mit anderen begrifflichen Etiketten versehen, in der Hoffnung, das Ganze damit etwas weniger geheimnisvoll und leichter verdaulich zu machen.
Den primitiven Abwehrmechanismus der puren Leugnung des Offensichtlichsten haben wir dagegen vor uns im Falle des In-eins-Setzens von Hirnvorgang und Bewusstseinsinhalt, wie ihn beispielsweise Extrem-PositivistInnen wie Patricia Churchland im sogenannten Eliminativen Materialismus vertreten; in dieser grotesken Sicht auf die Welt werden geistige Gehalte, Empfindungen und Erlebnisse zum alltagspsychologischen Aberglauben erklärt. So wie man in früheren Zeiten fälschlicherweise Hexerei oder den Vitalismus für real gehalten habe, so seien auch die herkömmlichen Vorstellungen von mentalen Ereignissen als nichtphysikalischen Gegenständen im Lichte der Naturwissenschaften atavistische Irrtümer, die durch die neuen neurobiologischen Erkenntnisse und ihre Sprache vollständig ersetzt werden könnten. Diese Denkrichtung sagt gewissermaßen, zugespitzt formuliert, dass unsere Welt in Wahrheit eine Zombie-Welt ist, die bar jeden Geistes zu 100% aus Physik besteht. Wie man so etwas für wahr halten kann ohne selbst über eben jenen Geist zu verfügen – denn schließlich ist Für-wahr-halten eine mentale Intention – bleibt das Geheimnis dieser Wissenschaftler. (Während des Schreibens kam mir die amüsante Idee, dass die Vertreter dieses Eliminativen Materialismus vielleicht schlicht und einfach real existierende philosophische Zombies sind. Falls sich das verbale Verhalten von Zombies überhaupt von dem von normalen Menschen unterscheidet, dann doch vermutlich darin, dass die ersteren das Gerede der letzteren von Geist oder Bewusstsein für unsinnig erklären.)
Ich meine, in solchen abwegigen Positionen wird auch deutlich, dass der naturwissenschaftlich geprägte Physikalismus (wie alle anderen Sichtweisen auch) eine ausgeprägte Tendenz hat, zum Glaubensbekenntnis, zur Ideologie zu werden. Es wirkt oft so, als ob es darum ginge, alles Geistige, alles, was sich nicht den strikten Regeln von formaler Logik und standardisierter Beobachtung und Beschreibung fügt – und damit auch alles Geisteswissenschaftliche – aus der Welt zu tilgen; was dann übrig bliebe, wäre eine Maschinenwüste. Und in der Tat sind wir ja schon längst auf dem Weg in diese triste Zukunft.
Berauscht von seinen exorbitanten Erfolge in Sachen Naturerklärung und –beherrschung ist dem heute überall die wissenschaftliche Debatten beherrschenden Ingenieurspositivismus das hartnäckige Rätsel des Geistes insgeheim sehr lästig und steht seinem Traum von vollkommener Weltentschlüsselung im Wege. Die Vorstellung eines fundamentalen, unlösbaren Mysteriums ist ihm zuwider, die damit einhergehende Spannung auszuhalten ist dem Szientismus wesensmäßig fremd. Alles hat ohne Rest aufzugehen. Am Ende soll eine mathematische Formel stehen, die alles im Universum auf den Punkt bringt, wie man so sagt. Aber wie das Rätsel des Geistes zeigt, lässt sich die Welt und die menschliche Existenz eben nicht auf einen Punkt zusammenziehen und dann bequem in die Tasche stecken.
Wie weitreichend diese Folgerung ist, wird einem deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass alles, was für uns existiert, die gesamte Realität, einschließlich der naturwissenschaftlichen Sicht auf sie, immer im Geist, im Bewusstsein, stattfindet. Auch der Physiker, der an eine neuen Theorie arbeitet, ist dabei ja ganz und gar geistig beschäftigt: die mathematischen Gleichungen und Formeln, mit denen er hantiert, haben für ihn Bedeutung, sie haben einen Sinn, sonst könnte er gar nichts mit ihnen anfangen. Die Erfahrungen von Bedeutung und Sinn aber sind intentionale Akte, die im Bewusstsein stattfinden. Sämtliche Wissenschaft, und natürlich auch die Naturwissenschaft, findet im Geist von sich mit ihren Aussagen beschäftigenden Menschen statt. Ist die (natürliche) Welt nicht im Geist, dann ist sie nirgendwo.
Weil das aber so ist, stehen wir am Ende vor der paradoxen Situation, dass eine Wissenschaft der Natur, die nicht begreift, was der Geist ist, im Grunde genommen gar nicht versteht, was „hier eigentlich los ist“. Sie kann nicht nur, wie sie gerne meint, einen bestimmten, engumschriebenen Ausschnitt der Welt (noch) nicht erklären. Vielmehr ist sie blind für den entscheidenden, zentralen Faktor, der eine Welt überhaupt erst konstituiert.
Die Naturwissenschaft der Neuzeit mit ihren beiden Säulen Logik und Empirie, die uns so immens erfolgreich das natürliche Universum erklärt hat, so dass wir heute ein Verständnis der Welt haben, das dem all unserer Vorfahren himmelhoch überlegen ist, kann selbst das Medium, den Raum, in dem all diese Erkenntnisse und Verständnisse stattfinden, nämlich den Geist, nicht erfassen und erklären. Die Logik ist auf die unmittelbare, nicht subjektiv verifizierbare Erfahrung nicht anwendbar; und doch gebietet gerade deshalb die Logik und mit ihr die intellektuelle Redlichkeit, die große Erklärungslücke in unserem modernen Weltbild zu sehen und anzuerkennen und nicht ständig kognitiv über sie hinwegzuhudeln und so zu tun, als handele es sich bei ihr um ein Nebenproblem, das man irgendwie und irgendwann mit den gängigen Methoden auch noch in den Griff bekommen werde. Dies wird nach allem was wir sehen nicht der Fall sein.
Es braucht ein Denken, das offen ist für das „Schwindelerregende“, wie es Theodor Adorno in seinem Hauptwerk Negative Dialektik genannt hat (Adorno, 1966, S. 40f.). Es braucht ein Denken, das nicht festklebt am bloßen Positivismus, eines, dass diesen übersteigt, ohne seine Grundsätze von Logik und Kausalität zu verwerfen. Und haben Hegel und Adorno am Ende nicht auch recht damit, dass dem Leben und der Welt ein zutiefst dialektisches Moment innewohnt? Der Gegensatz zwischen Geist und Natur wäre demgemäß der grundlegendste Widerspruch überhaupt, an dessen Versöhnung das menschliche Denken bis heute vergeblich sich abmüht – was aber nicht bedeutet, dass philosophische Versuche, den Graben des Undenkbaren zu überwinden, nicht doch sehr fruchtbar sein können.
In diesem Sinne sollte eine der Wirklichkeit angemessene Philosophie aufhören, immer nur in „Alternativen, […] deren eine anzukreuzen sei“ (Adorno, ebd.) zu denken: dass das Mysterium des Geistes unlösbar und gar undenkbar erscheint, ist eine Seite der Wahrheit; die andere besteht aber darin, dass der von mir kritisierte szientistische Positivmus keinesfalls wie das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und ersatzlos verworfen werden darf. Seine Erkenntnisse sind nach wie vor von unschätzbarem Wert – er darf nur nicht einseitig verabsolutiert werden als einzige und letztgültige Sicht auf die Welt (interessant dazu auch Menke, 2018). Ein Abgleiten in eine dümmliche Esoterik, wie sie von vielen Menschen im Zuge von Wissenschafts- und Technikkritik vollzogen wird, ist ganz und gar abzulehnen und unbedingt zu vermeiden. Es gilt, angesichts des Körper-Geist-Rätsels die Logik zu übersteigen und nicht hinter sie zurückzufallen. Es geht darum, Tiefe zu gewinnen und nicht die eine Flachheit gegen die andere auszutauschen.
Die Welt mit dem sie erkennenden und reflektierenden Menschen in ihr wird unter einer solchen Perspektive größer und weiter, sie ist nicht mehr eingesperrt in den kleinen Winkel, den vereinseitigte Logik, Kausalität und Empirie für die Wahrheit vorgesehen haben. Man kann freier atmen. Es ist gar nicht dumm, was Rüdiger Safranski einmal gesagt hat: Philosophie ist Raumgewinn.
Literatur
Adorno, Theodor W. (1966). Negative Dialektik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Menke, Christoph (2018). Die Lücke in der Natur. In: Ders.: Am Tag der Krise. Berlin: August Verlag.
Robinson, William S. (2007). Qualitativer Ereignisrealismus und Epiphänomenalismus. In: Metzinger, T. (Hrsg.), Grundkurs Philosophie des Geistes, Bd. 2: Das Leib-Seele-Problem. Paderborn: mentis.
Sacks, Oliver (1985). Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte. Rowohlt Taschenbuch, 1990.
© Matthias Wehrstedt 2019